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Tove Ditlevsen : Böses Glück
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Tove Ditlevsen : Böses Glück

Nichts ist so gnadenlos wie die Liebe.

Dem Aufbau Verlag sowie der Übersetzerin Ursel Allenstein ist es zu verdanken, dass die Werke der dänischen Autorin Tove Ditlevsen seit einigen Jahren wieder einer breiten Leserschaft außerhalb des dänischsprachigen Raums zugänglich sind. Ditlevsen, die zwischen 1917 und 1976 in Kopenhagen lebte, veröffentlichte zu Lebzeiten nicht nur Romane, sondern auch Gedichte, Novellen und Essays. Der kürzlich auf deutsch erschienene Erzählband Böses Glück versammelt eine Auswahl von 15 Kurzgeschichten, die im Original bereits 1952 und 1963 in zwei Erzählbänden erschienen sind.

Selbst aus dem Arbeitermilieu stammend, siedelt sie ihre Storys in ebendiesem an. In diesen augenscheinlichen Alltagsgeschichten geht es aber vor allem um Konventionen, um Frauen – die oftmals direkt zu Beginn der Geschichten namentlich genannt werden – um Kinder, um seelische und räumliche Enge und Männer, die mehr störend denn liebevoll beschrieben werden. Einzig in der titelgebenden und letzten Geschichte Böses Glück, die nicht mit einem Namen wie Helene, Britta oder Helga beginnt, sondern mit dem Wörtchen „Ich“ erkennen wir die Autorin selbst direkt wieder. Die Ich-Erzählerin und ihre Lebenswelt erinnern stark an die Kopenhagen Trilogie von Tove Ditlevsen, die bereits 2021 auf deutsch erschien.

In der Kurzgeschichte geht es um eine junge Frau, die auf beengtem Raum mit ihren Eltern zusammenlebt. Der Vater ist mal mit und mal ohne Job, was die finanzielle Situation äußerst prekär macht und das Einzige, was die Mutter glücklich zu machen scheint, sind die Besuche ihrer Schwester, die jedoch im Verlauf der Erzählung verstirbt. Die Erzählerin wünscht sich nichts sehnlicher als endlich 18 zu werden, von zu Hause auszuziehen und ihr Geld mit dem Schreiben zu verdienen. Das ist ihr größtes Ziel, für das sie frei sein muss und alles andere hinter sich zurück lässt: „.[....] und ich vergaß sie alle miteinander, vergaß mein Zuhause vollkommen und lebte mein eigenes Leben.“ (S.171/172)

Diese Kompromisslosigkeit wirkt einerseits grausam und gefühlskalt, sie verdeutlicht andererseits aber auch, dass Ditlevsens Protagonistinnen mehr vom Leben wollen, als den vorgezeichneten Weg in Richtung Ehe und Kinder zu gehen und bereit sind, sich diesen Traum zu erkämpfen. Ähnlich schonungslos treibt sie auch ihre anderen Figuren an, dabei ist deren Unzufriedenheit oft die treibende Kraft ihres Handelns. Da wäre beispielsweise Helga, deren Objekt der Begierde schon im Titel der Eingangsgeschichte „Der Regenschirm“ offenbar wird. Dieser alltägliche Gebrauchsgegenstand ist es, den sie sich unbedingt wünscht. Er ist verknüpft mit einer Kindheitserinnerung, die Aufregung, Glück und den Reiz des Verbotenen birgt. Die Sehnsucht nach diesen Dingen und die Aussicht auf Erfüllung ihrer Wünsche, lässt sie nun als verheiratete Frau ihrem schnöden Alltag entfliehen. Denn bereits zu Beginn ihrer Geschichte erfährt die Leserin:

„Helga hatte schon immer, und vollkommen widersinnig, mehr vom Leben verlangt, als es bieten konnte. Menschen wie sie wandeln zwischen uns und unterscheiden sich äußerlich kaum von denen, die instinktiv eine Bilanz ziehen und genau den Platz in der Welt finden, der ihnen gemäß Aussehen, Fähigkeiten und Herkunft zusteht.“ (S.7)

Das Traurige ist, dass sie letztlich aber doch das „vorbestimmte“ Leben leben wird, dass ihr kurzer Widerstand, ihr Aufbegehren dagegen nur von kurzer Dauer ist, bevor er durch ihren Ehemann niedergerungen wird und alles so weitergeht wie zuvor.

Besonders ans Herz gehen Tove Ditlevsens Geschichten, in denen auch Kinder die Protagonisten sind. In einer von ihnen teilen die sich trennenden Eltern ihre beiden Kinder untereinander auf, was an sich schon schlimm genug ist. Es wird aber noch auf die Spitze getrieben, indem das Mädchen nicht weiß, dass es nicht zur Mutter zurückkehren wird und dadurch, dass beide Eltern lieber das Mädchen denn den Jungen wollen. In einer anderen Geschichte müht sich ein adoptierter Junge um die Liebe seiner Eltern, zumal diese eben ein leibliches Kind bekommen haben, das nicht wie John mit der Flasche groß gezogen werden muss und dem die Liebe der Eltern einfach zufällt. Es ist geradezu schmerzhaft zu lesen, wie er durch Arbeit, Fleiß und Schnelligkeit versucht, sich die Zuneigung – vor allem der Mutter – zu sichern.

Durch Böses Glück wird deutlich: Auch das Genre der Kurzgeschichte beherrschte Tove Ditlevsen meisterlich. Wenige Seiten genügen, um in Welten einzutauchen, in denen es vorrangig um die Frauen und ihren Alltag im Kopenhagen der 50er Jahre geht. Es dreht sich um ihre Bedürfnisse und Wünsche und den Drang, den Konventionen nicht zu folgen, was leider allzu oft scheitert. Ihre Sprache ist dabei klar und offenbart die Erbarmungslosigkeit des Alltags, der zwischenmenschlichen Interaktionen und der Zwänge, denen ihre Protagonistinnen unterliegen. Die Männer in ihren Geschichten sind oft aber nicht immer eher negativ besetzt und man sollte sie lieber nicht stören, wecken oder verärgern. Dennoch ist es mehr als eine Ahnung, die sich beim Lesen breit macht, dass auch viele von ihnen nicht glücklich sind, doch um sie geht es nicht.

Thematisch erleben wir in diesem Erzählungsband eine Tove Ditlevsen, die wir bereits kennen. Es sind die Themen, die sie beschäftigen und sicher zu ihrem Alltag gehörten, die Dinge, die sie selbst antrieben. Der Drang nach Freiheit und Selbstverwirklichung und die diesem gegenüber stehende Realität. Und der Kampf eines jeden Einzelnen um seinen Platz in der Welt. Das Lesen dieses Werkes lässt einen nicht freudig oder glücklich zurück. Und das muss es auch nicht. Gelesen werden sollte es aber unbedingt, nur lieber nicht alles auf einmal.

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