Lob und Verriss
Lob und Verriss - Der Podcast
T. Kingfisher - Nettle & Bone
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T. Kingfisher - Nettle & Bone

Eine kleine Geschichte der Fantasie
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“Fantasy als literarisches Genre ist so alt wie die Menschheit!”, antwortete ich letztens sinngemäß auf eine entsprechende Frage - und lag damit ein paar zigtausend Jahre daneben. Aber man muss solche Sätze nur selbstbewusst vortragen.

“Wann ist denn der erste Fantasy Roman erschienen?”, wurde hilfreich nachgehakt und ich musste feststellen, dass ich die Märchen der Gebrüdern Grimm oder auch die Fabeln von Äsop in einen Topf geworfen hatte mit der doch recht spezifischen literarischen Gattung “Fantasy”. Und sicherlich hat J.R.R. Tolkien im “Herr der Ringe”, seinem genrebegründenden Werk, Einflüsse übernommen aus ein paar tausend Jahren Menschheitserzählung, Homers Odyssee fällt einem als Erstes ein, sicher auch Beowulf, eine altenglische Heldensaga, die Tolkien in seiner akademischen Karriere übersetzt hatte. Aber das, was wir als das Genre der Fantasy kennen, ist tatsächlich erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit ebendiesem “Lord of the Rings” entstanden.

Als Connaisseur der literarischen Form ist mir bewusst, dass die starre Struktur, der immergleiche Cast und das absehbare Ende nichts für die allgemeininteressierte Leserin ist und empfehle es entsprechend selten. Andererseits - was ist an ein bisschen Formalismus nicht zu mögen, gerade in unseren formlosen Zeiten. Ein Hauptheld, eine Reise und ein Happy End - mehr braucht es nicht um den Shit um dich herum zu vergessen. Das Ganze in einem Buch voll von moralischen Entscheidungen und man kann fast auf die Idee kommen, ein paar Hundert Seiten voller Orks, Gnome und blonder, muskulöser, heterosexueller Sixpacks mit kantigem Gesicht zum Bildungsroman zu erklären. Was am Ende kontraproduktiv wäre. Ist Fantasy doch explizit ein Produkt für Menschen, die mal nichts Neues lernen wollen, keinen Bock auf die inneren Konflikte graubärtiger, mittfünfziger Skandinavier haben, und die einfach dem Alltag entfliehen wollen.

Das Wort “Produkt” steht hier bewusst nicht in Anführungszeichen, denn Fantasy ist buchstäblich als solches konzipiert worden, einzig um verkauft zu werden. Nachdem in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts im kapitalistischsten aller Länder die Mittelschicht boomte, weil der Spitzensteuersatz in den US of A bei 70% lag und sich eine vierköpfige Familie von einem Monatsgehalt locker ein Haus in der Vorstadt leisten konnte, verödeten die Innenstädte zugunsten der Malls an den Ausfallstraßen, weil, es kann ja nie mal irgendwie alles perfekt sein. Neben den üblichen Mom & Pop-Stores und Diners war damit auch das Ende der kleinen Buchläden besiegelt und folgerichtig das der kleinen Verlage. Bücher wurden nun in supermarktgroßen Buchläden in den Malls verkauft, und dort ging es nicht um Quali-, sondern um Quantität. Verlage hatten quartalsweise Umsatzsteigerungen vorzuweisen oder sie wurden zugemacht. Produktivitätssteigerung, so weiß das jeder BWL-Erstsemestler, erreicht man durch Standardisierung. Das funktioniert durchaus auch im Literaturbetrieb, Stichwort Groschenroman oder Pulp Fiction. Den Arztroman, bei dem es der Hausfrau so wohlig warm im Schoss wird wie dem Schlosser beim Lesen des Landserheftes, gab es schließlich schon seit ein paar Jahrzehnten.

Eine Zielgruppe für literarische Massenware kam in den Sechzigern und Siebzigern hinzu: der Nerd. Während man das Aufweichen des Konformismus der miefigen Fünfziger durch die aufkommenden Jugendkulturen von Hippies über Mods bis zu den Punks durchaus begrüßte, gab es auch hier Verlierer: Die, die in gar keiner Gruppe sein wollten, die sich ihren eigenen Kopf machten. So was befreit natürlich ungemein, intellektuell und so, aber, die Rache der verschworenen Gemeinschaften derer mit den langen Haaren oder den kurzen oder den bunten kann dir gewiss sein. Also bleibt der Nerd zu Hause, das neugebaute Haus der Eltern hat zum Glück einen Hobbykeller, und spielt Dungeons and Dragons mit den paar Kumpels, die, wie er selbst, zu viel Fantasie haben.

In diesem Rollenbrettspiel findet sich stets eine Gruppe von Helden mit unterschiedlichsten Charakteren, sie unternehmen eine Reise durch die Unterwelt, um zum Schluss einen Endgegner zu besiegen oder dabei zu sterben. Was ein Zufall aber auch: das ist genau die Story von “Herr der Ringe”. Zwar kann man dieses Meisterwerk mehr als einmal lesen, und mit den fünfzehnhundert Seiten, die es hat, braucht man dafür auch eine Weile, aber irgendwann wird es langweilig. Warum also das Werk nicht als Vorlage formulieren: “Man nehme einen männlichen Haupthelden, stelle ihm Begleiter zur Seite auf dem Weg ein großes Böses per Magie zu besiegen.” So ähnlich formulierte das ein gewisser Lester del Rey im Jahr 1975. Er war ein findiger Geschäftsmann, der zufälligerweise zur genau richtigen Zeit in 4. Ehe mit einer Lektorin verheiratet war. Er stieg ins Business ein, beauftragte den damals mit einem fast dreisten “Herr der Ringe”-Abklatsch namens “The Sword of Shannara” berühmt gewordenen Terry Brooks, sein Debütwerk zu einer Serie zu entwickeln. Gleichzeitig suchte er aktiv nach anderen Autoren, die im Prinzip dieselbe Story, jeweils ein bisschen anders, wieder und wieder erzählen sollten. Denn das geht schnell und damit billig und der ausgestoßene Nerd findet Inspirationen für seine Dungeons and Dragons Sessions und kann sich beim Lesen sicher sein, dass am Ende das Gute gewinnt.

An dieser Formel hat sich dann 50 Jahre lang wenig verändert und wie es sich für ein Kulturgut gehört, werden auch hier jedes Jahr Preise vergeben, der wichtigste: Der Hugo Award. Die Preisträger bis in die 2010er hinein lesen sich wie das personifizierte white male privilege, und so wie jeder Industrie von Film über Computerspiele bis zum Kleingartenspartenverein flog auch der Sci-Fi- und Fantasybranche diese Praxis um die Ohren. Traf es bei diesen geldschweren Branchen im Allgemeinen die Richtigen, kann man in den bescheideneren Fantasy-Kreisen ein klein wenig das Argument machen, dass es etwas zu viel verlangt sei von Nerds, die über Jahrzehnte im Keller saßen und froh waren, dass sie mit keiner Frau reden mussten, druckreife Statements zu gesellschaftspolitischen Themen abzugeben und sei es auch nur, eine Frau zum Gewinner des Hugo-Awards zu wählen. Denn, der Preis ist ein Publikumspreis, er wird auf einem seit Mitte des 20. Jahrhundert jährlich stattfindenden Treffen von Science Fiction- und Fantasyfans ermittelt, uh.. man riecht den Saal bis hierhin. Aber die Aufregung ist weitestgehend vorbei, die Wellen haben sich geglättet, mit dem Ergebnis einer dem Genre absolut zugutekommende Diversifizierung durch Autorinnen wie N. K. Jemisin, im Studio B schon besprochen oder nicht-westlichen Preisträgern wie Cixin Liu mit “The Three-Body Problem” das gerade von Netflix verfilmt wird.

Und so ist es auch in diesem Jahr eine Autorin, genauer die US-Amerikanerin Ursula Vernon alias T. Kingfisher, die zur Siegerin in der Rubrik “Roman” gewählt wurde. Und zwar mit einem Buch, welches oberflächlich sehr standardisiert und formularhaft daherkommt und doch ein in sich geschlossenes Kleinod der Fantasy ist. Es heißt “Nettle & Bone” und kriegt im Deutschen den Titel “Wie man einen Prinzen tötet”. Was es ziemlich gut zusammenfasst und kein wirkliches Spoilern ist, denn dass der Prinz weg muss, wird sehr früh im Roman klar.

Während herkömmliche über mehrere Bände erzählte Fantasystories normalerweise mit umfangreichem Kartenmaterial aufwarten in dem wir meist einen Kontinent sehen der im Norden von Städten und Landschaften beherrscht wird, die der Autor sich als skandinavisch vorstellt bis in den Süden, in dem eindeutig Griechenland oder gar der Orient Pate standen, kommt “Nettle and Bone” ohne diesen Schnickschnack aus. Fast ein bisschen artsy gibt es namenlos das “Nördliche Königreich”, das “Südliche Königreich” und eine kleine Dynastie in der Mitte, die sich ob ihre geographischen Lage als Tiefseehafen seit Jahrhunderten hält. Natürlich läuft so ein kleines Fürstentum permanent Gefahr, von den viel größeren Nachbarn überrannt zu werden. Das verhindert man in einem ordentlichen feudalen System durch Heiraten und so werden die drei Töchter des mittleren Königreiches von klein auf vorbereitet, einem Prinzen an die Hand gegeben zu werden. Aktuell soll das der im Norden sein. Er ist ein rechtes Arschloch, und wie sehr er das ist, erkennt man, siehe oben, an dem kaum gespoilerten Untertitel der deutschen Ausgabe. Unsere Hauptheldin, die jüngste der drei Töchter, wird sich nach nicht allzu langer Zeit im Buch entscheiden, dass der Typ weg gehört.

Die Prinzessin heißt Marra und macht sich auf den Weg, ganz genregerecht, mit einer kleinen Gruppe an aufrechten Kämpfern. Allein deren Zusammensetzung zeigt uns, dass die Zeit von Lester del Reys Fantasyformel insofern vorbei ist, als dass nicht nur die Heldin eine Frau ist, sondern dass im ganzen Buch nur zwei Männer vorkommen. Ein sixpacktragender, wenn auch schon über 50-jähriger Muskelprotz, wird aus einer fiebertraumatischen Unterwelt befreit, und der umzulegende Prinz ist natürlich auch einer. Der Rest sind Frauen, keine davon entspricht dem aktuellen Tiktok-Schönheitsideal und keine ist unter 30. Das klingt ein bisschen superwoke, ist es natürlich auch, aber T. Kingfisher schafft es die Langeweile der letzten 70 Jahre Fantasy mit ihren kantigen blonden Helden und braunhaarigen grünäugigen Elfen nicht durch gegenteilige und damit genauso langweilige Pendants zu ersetzen. Wenn man schon die Chance hat ein Klischee zu brechen, dann sollte man diese nutzen, denkt sich Kingfisher: lustig und lehrreich sollen die Heldinnen sein, ein wenig unsicher, aber bestimmt, nicht schön, aber eindrucksvoll. Das Buch balanciert dabei ständig kurz vor dem Fantasyklischee nur um es, wenn man sich so richtig wohlfühlt, zu brechen. Ob das unterirdische Gänge sind, in denen die Truppe kämpft, um auf einmal von einem menschlichen Rad aus Grabplünderern überfahren zu werden, ein Bild, welches Computerspielern sofort bekannt vorkommen sollte. Für den Cineasten sind es Szenerien, die an die Filme von Guillermo del Toro erinnern und Nur-Leserinnen beeindruckt der fast reduktionistische Stil des gesamten Buches: es ist mal kein ausschweifendes 1000-Seiten-Werk mit drei selbst ausgedachten Sprachen, sondern eine fast märchenhafte Beschränkung auf ein Gut gegen Böse, No-Means-No, Kopf-Ab dem Fucker.

So ergibt sich etwas, was als Fantasy beginnt, sich seltsam subversiv auf vielen Ebenen entwickelt und am Ende ein wirkliches Kunstwerk ist. Dazu ist es in sich abgeschlossen und nicht überlang, so dass es mir vor allem als Einstieg in eine Genre gilt, das einen, s.o. durchaus zurecht schlechten Ruf hat. Aber, wie hier erklärt, haben wir es in der Sci-Fi- und Fantasyszene zur Abwechslung mal mit einem popkulturelles Phänomen zu tun, in dem vieles, man glaubt es kaum, besser wird. Das sollte man sich nicht entgehen lassen, da sollte man mal reinschauen, und der beste Einstieg aktuell ist “Nettle & Bone” von T. Kingfisher.

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