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Ottessa Moshfegh - Heimweh nach einer anderen Welt
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Ottessa Moshfegh - Heimweh nach einer anderen Welt

Wir lobpreisen Ottessa Moshfegh.

Nicht, dass ich Inspiration benötigt hätte, um einen weiteren Roman von Ottessa Moshfegh zu lesen, doch nach Herrn Falschgolds letzter Rezension die mich einmal mehr daran erinnerte, wie sehr ich diese Autorin schätze, kam ich zu dem Schluss, den letzten mir verbleibenden Roman von ihr zu lesen, den ich mir bisher noch aufgespart hatte und selbigen auch gleich zu besprechen. Heimweh nach einer anderen Welt ist aber kein Roman im klassischen Sinne, sondern ein Erzählband in dem Ottessa Moshfegh anhand von 14 Episoden oder Kapiteln einen Einblick in 14 verschiedene Leben bzw. Charaktere gibt, die, und dafür kennen und lieben wir die Autorin so sehr, zum Teil sehr verschroben und skurril anmuten, letztlich aber vor allem unzufrieden mit ihrem Leben sind. Wir ahnen also schon, was es mit dem Titel auf sich hat. Selbiger lautet in der 2017 im Original erschienenen Ausgabe Homesick for another world und wurde in Deutschland 2020 unter dem Titel Heimweh nach einer anderen Welt im Liebeskind Verlag veröffentlicht.

Moshfeghs Figuren, die entweder selbst Auskunft über ihr Leben geben oder deren Leben durch einen Erzähler beschrieben wird, sind geprägt von Unzufriedenheit, Süchten, Boshaftigkeit und Überheblichkeit. Es sind aber auch eben jene Attribute die oftmals die Triebfeder ihres Handelns darstellen, was einen nicht selten genug kopfschüttelnd, wenn nicht sogar angewidert zurücklässt. Dabei wirkt jede Episode wie eine kleine Autopsie in der Ottessa Moshfegh ihre Figuren seziert und das Wesentliche frei legt.

Im ersten Kapitel beispielsweise, mit dem Titel Ich bessere mich, begegnen wir der 30 jährigen Miss Mooney, die an einer Ukrainisch-Katholischen Schule unterrichtet – ein Job der sie nicht sonderlich zu erfüllen scheint – und mich direkt an Herrn Falschgolds Protagonistin in Mein Jahr der Ruhe und Entspannung denken ließ. Auch Miss Mooney geht gern und regelmäßig in der Bodega um die Ecke die Dinge ihres täglichen Bedarfs – Bier und Zigaretten – einkaufen, nur dass die Ägypter in ihrer Bodega gut aussehen und ihr Komplimente machen. Mit dem erworbenen Bier bestreitet sie dann auch den Nachmittag bis sie abends endlich zum Vodka übergehen kann. An ihrem Partner mag sie besonders, dass er sich nur selten in ihr Privatleben einmischt und einmal gibt es in ihrem trübsinnigen und trostlosen Leben sogar einen kurzen Moment der Hoffnung, als es heißt: „Mein Kopf heilt, dachte ich. Alles wird gut.“

Doch solche Momente währen nur kurz, denn die Beschreibung von Moshfeghs Figuren ist nicht darauf ausgelegt, sie in eine positivere Zukunft zu führen, sondern die zumeist hässliche und traurige Wahrheit wiederzugeben. Dabei ist sie ihren Charakteren gegenüber nie herablassend oder führt sie vor, sondern ist in ihren Darstellungen so genau und aufmerksam, dass man als Leserin am Ende noch ein wenig Mitleid mit dem größten Unsympathen empfinden kann.

Ein weiteres Beispiel ist Larry, der, nach dem Tod seiner Frau, im Alter von 64 Jahren einen Job in einer betreuten Wohneinrichtung für Erwachsene mit mittelschweren Entwicklungsstörungen übernimmt. Seine Motivation sich in seinem Alter noch einmal beruflich komplett neu zu orientieren, fasst er folgendermaßen zusammen: „Das Geld brauchte ich nicht unbedingt, aber ich hatte den Rest meines Lebens vor mir und wollte ihn unter Menschen verbringen, die mich zu schätzen wussten.“ (EBook S. 76) Nach Jahrzehnten in einem Bürojob den er eher Däumchen drehend am Schreibtisch verbracht hat und mit einer Frau an seiner Seite, die er eigentlich nicht geliebt hat – wie wenig wird ihm erst nach ihrem Ableben in voller Tragweite bewusst – ist er jedoch eine der Figuren in Moshfeghs Erzählband, die nicht still stehen und in ihrer Vergangenheit verharren, sondern bestrebt ist, seine Zukunft besser zu gestalten.

Ein weiteres Beispiel ist John, der seit 29 Jahren mit seiner Frau verheiratet ist und als Arzt ein komfortables Leben führt. Er ist sich seiner privilegierten Stellung bewusst und ist doch unzufrieden mit seinem Leben, was ihm vor allem während einer Karibikreise bewusst wird, während der er das urtümliche und freie Leben der Inselbewohner beneidet. Er ist selbst der Meinung, dass er glücklich über seine Situation sein müsste und seine Probleme völlig bedeutungslos sind, doch er ist von dem starken Wunsch beherrscht, aus diesem kontrollierten Leben auszubrechen. Als seine Frau unverhofft verstirbt und John herausfindet, dass sie ihn vermeintlich im Urlaub betrogen hat, verfolgt er die groteske Idee erneut in die Karibik zu fliegen und den Strichjungen ausfindig zu machen, mit dem ihn seine Frau mutmaßlich betrogen hat, um dann aus Rache selbst mit ihm zu schlafen. Es ist sein großes Abenteuer, das ihn endlich aus der Unzufriedenheit und Tristesse seines Alltags befreien soll, was aber letztlich missglückt und wodurch Ottessa Moshfegh nur umso deutlicher das Gefühl transportiert, dass ihre Protagonisten ein Leben führen, das sich falsch anfühlt.

Der Clou an Moshfeghs Erzählungen ist, dass sie es trotz all der Bitterkeit und des Scheiterns, welches sie beinhalten, immer wieder schafft, den Situationen auch etwas Komisches – auch wenn es bitterböse ist – abzugewinnen, ohne ihre Figuren dabei vorzuführen. Dabei taucht sie scheinbar mühelos in eine Lebenswelt ein, die von Hoffnungslosigkeit geprägt ist und schafft es, sie der Leserin so vor Augen zu führen, dass man fast meinen könnte, selbst ein Teil davon zu sein. Es löst ein Erkennen und eine Betroffenheit für das eigene Leben, das eigene Umfeld aus. Ottessa Moshfegh erschafft ein Panoptikum menschlicher Abgründe und Unzulänglichkeiten, eine Welt in der Menschen ihren sexuellen Abgründen und Fantasien, ihrem Hass und ihrer Gleichgültigkeit, ihren Süchten und ihrer Verzweiflung folgen, sich gegen sie wehren und deren Daseinsberechtigung ebenso unbestritten ist, wie die jedes anderen. Wir spüren deren Heimweh nach einer anderen Welt und danken Ottessa Moshfegh einmal mehr, für diesen absolut empfehlenswerten Erzählband, der in keinem Bücherregal fehlen darf.

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