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Martha McCaughey: Real Knockouts
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Martha McCaughey: Real Knockouts

Studio B Klassiker: Auf die Fresse, bis es besser wird.

Vor zehn* Jahren besuchte ich Freunde in Ithaca, New York, und der Besuch der Campusbuchhandlung endete teuer. Zu dieser Zeit war die Globalisierung des Buchverkaufes übers Internet noch nicht weit vorangeschritten, so dass man, wenn man sich für feministische Literatur oder Science Fiction im Original interessierte, eine derartige Möglichkeit nutzen musste. Gleichzeitig kamen - und dies ist immer noch so -, neue Impulse für die feministische Bewegung, Debatten und Diskurse vorrangig aus den USA. Die Regale der Abteilung Feminismus waren eine Offenbarung, die Gebühren fürs Übergewicht meines Gepäcks habe ich gern gezahlt.

Das heute hier vorgestellte Werk "Real Knockouts: The Physical Feminism of Womens's Self-Defence" der mittlerweile zur Professorin für Soziologie berufenen Martha McCaughey, Jahrgang 1966, war 1997 ihre erste Buchveröffentlichung, die wie folgt beginnt:

"Ich war einst eine verängstigte Feministin. Ich wusste viel über männliche Gewalt, und wenig, sie zu stoppen." "Real Knockouts" verbindet auf 270 Seiten in ungeheurer Komplexität verschiedenste Aspekte der Auswirkungen von Gewalt, weiblicher Selbstverteidigung, ihren möglichen Einfluss auf feministische Diskurse und verfolgt dabei ein Ziel: Die Aufklärung der vielfältigen Verbindungen zwischen zwei Gruppen, die überraschend wenig voneinander wissen: Da sind zum Einen Selbstverteidigungslehrenden, ihren Schülerinnen - 100.000en Frauen, die diese Kurse in den USA besuchen, jedoch gleichzeitig selten an feministischen Diskursen, wie sie vorrangig in Universitäten bei Cultural and Women's Studies geführt werden teilnehmen bzw. wenig über theoretische Arbeiten wissen. Zum anderen gibt es die Akademiker*innen, die zwar mittlerweile großen Einfluß auf die heutigen Diskurse in vielen Bereichen haben, jedoch zu selten die Bedürfnisse und Befürchtungen der sogenannten everyday women in diesen Diskursen adressieren.

Und so erklärt Martha McCaughey in ihrem Vorwort zum Buch, dass es sich wenig mit Fragen wie "Was soll ich tun, wenn jemand versucht, mich zu vergewaltigen" beschäftigen wird, sondern vielmehr zeigen möchte, wie beide Gruppen - in Selbstverteidigung bzw. Kampfkünsten Aktive und Feministinnen, die in akademischen Diskursen Erklärungsmodelle entwickeln, voneinander lernen können.

Natürlich kann körperliche Selbstverteidigung nicht die einzige Möglichkeit sein, männlicher Dominierung oder männlicher Gewalt zu begegnen. Real Knockouts zeigt jedoch, dass Selbstverteidigung eine Möglichkeit ist, verschiedene Theorien als überholt bzw. veraltet zu zeigen, die innerhalb der feministischen Bewegungen diskutiert worden und werden, wie die z. B. heute nur noch vereinzelt auftretende Annahme, dass Gewalt von Männern gegen Frauen unvermeidbar wäre und stellt die Frage, inwieweit Annahmen, die feministische Diskurse in den letzten Jahren geprägt haben, tatsächlich noch Bestand haben können und nicht zumindest unter neuen Vorzeichen gelesen werden müssten.

Gleichzeitig geht sie auf feministische Diskurstheorien von Judith Butler und anderen ein, die sich mit körperlichen Konstruktionen beschäftigen und zeigt auf den kritischen Punkt, nachdem deren Arbeiten zwar ein größeres Verständnis ermöglichen, wie geschlechtliche Zuschreibungen an den Körper stattfinden, dann jedoch reale körperliche Verletzungen nicht in Betracht zu ziehen und bisher noch nicht danach gefragt haben, inwieweit neue Theorien entwickelt werden können, die reale Körper und gleichzeitig neue Identifikationen ermöglichen.

Martha McCaughey zeigt ihre Wertschätzung für die bisherigen theoretischen Leistungen von feministischen Theoretiker*innen, fordert jedoch die größere Berücksichtigung von körperlicher Selbstverteidigung und betont deren Herausforderung an den Feminismus, neue Wege zu suchen, wie Frauen ihrer Unterordnung in einer Gesellschaft widerstehen können, die doch spezielle Körper mit irrealen Anforderungen z. B. an Schlankheit und Busengröße verlangt. Damit verbindet sie die Forderung an den Feminismus, körperliche Realitäten anzuerkennen und und lenkt den Blick auf die Freude, die dieser körperliche Widerstand ermöglicht - kurz: Feminismus muss physisch werden.

Martha McCaugheys These ist, das Feminismus genauso viel von Selbstverteidigung lernen, wie Selbstverteidigung mit Hilfe von feministischer Theorie und Analyse gewinnen kann.

Eines der Anliegen des Werkes ist es auch, die Widersprüche der Annahme aufzuzeigen, dass Gewalt etwas Männliches wäre und damit prinzipiell ablehnenswert sei, und gleichzeitig kritisch dem Misstrauen zu begegnen, welches als gewalttätig auftretenden oder empfundenen Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft begegnet. Von sich verteidigenden Frauen ist hingegen bekannt, dass sie durchaus Freude an wirksamer Aggression, z. B. in Selbstverteidigungskursen oder bei erfolgreichen widerständigen Körperattacken erfahren. Diese beim selbst absolvierten Kampftraining erfahrene Befriedigung machte Martha McCaughy zu einem Fan von Frauen, die Selbstverteidigungskurse nehmen oder unterrichten und es ihr im Gegenzug schwierig, diese Frauen als von männlicher Dominierung übertölpelte Wesen zu abzutun.

In diesem Rahmen bewegt sich Real Knockouts - The Physical Feminism of Womens's Self-Defence.

Martha McCaugheys Werk ist eine in fünf Kapiteln klar gegliederte wissenschaftliche Arbeit, die sich jedoch auch an Nichtakademikerinnen richtet.

Im ersten Teil - balls versus ovaries: women's "virtue" in historical perspective - also ungefähr "Eier gegen Eierstöcke - weibliche Kraft in historischer Perspektive - beschreibt Martha McCaughey den Wandel der gesellschaftlichen Ansichten über die Möglichkeiten von Frauen zur Selbstverteidigung. Es wird deutlich, dass biologistische Erklärungsversuche für männliche Gewalt, die alle Jahre wieder auftauchen, schlicht und einfach Unsinn sind und ist sehr erhellend, wenn wir lernen, dass in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Frauen wesentlich mehr Kräfte zugestanden wurden, als dies beispielsweise in den oft für mehr Frauenrechte gefeierten 1970ern der Fall war. Während in den 1940ern Selbstverteidigungsbücher von männlichen Armeeangehörigen Frauen Tricks und Mittel zeigten, wie sie heute wieder in Programmen wie z.B. Wendo gelehrt werden, und die Möglichkeit einer körperlichen Gegenwehr schlicht als gegeben angenommen wurde, so waren es die 1970er, die mit ihren Tipps wie "Gib nicht deine Telefonnummer" oder "Geh nicht allein durch eine dunkle Straße" in Frauen Unbehagen und das Gefühl von Schwäche auslösten. Erst später setzte sich mühsam wieder das Bewusstsein durch, dass Missbrauchssituationen durch Verwandte oder Bekannte die Regel und nicht die Ausnahme sind, während die Gefahr, auf offener Straße Opfer einer Vergewaltigung zu werden, marginal ist.

Im zweiten Kapitel des Buches unter dem Titel "Gemein werden - in der Szene der Selbstverteidigung" beschreibt Martha McCaughey ihre eigenen Erfahrungen in verschiedensten Selbstverteidigungskursen und ihre Bedeutung im Hinblick auf die Entwicklung von femininer Hilflosigkeit hin zu deren Auslöschung und die damit verbundene Wichtigkeit dieser Orte für die Wiederverhandlung von Weiblichkeit und Aggression. Sie teilt diese Kurse in 4 Kategorien ein: Selbstverteidigungskurse, bei denen mit gepolsterten Aggressoren geübt wird, Schießkurse, Kampfkünste oder kampfkunst-basierte Selbstverteidigungskurse und Fitnessorientierte Kurse. Die meisten dieser Kurse waren nur für Frauen geöffnet, die Autorin nahm aber auch an einigen gemischtgeschlechtlichen Kursen teil. Martha McCaughey zeigt, wie in einer supportiven Atmosphäre Frauen in phantasierten und dann ausgeübten kämpferischen Erfolgen Bewusstseinsänderungen und damit auch körperliche Neuzuschreibungen erleben. Dabei nimmt sie jedoch auch kritisch mögliche legale Nachspiele unter die Lupe, die eine gewalttätige Selbstverteidigung haben kann, und bei denen unter Umständen rassistische oder sexistische Stereotypen bei der juristischen Bewertung der Frage, ob diese Gegenwehr legitim war, Verwendung finden.

In einem weiteren Kapitel untersucht sie davon ausgehend, inwieweit diese Erfahrungen Auswirkungen auf das Gender, also das soziale Geschlecht, haben (können), wenn die Grundannahme über Gender berücksichtigt wird, dass es sich dabei um real ausgelebte Körpervorstellungen und Annahmen handelt, die jedoch auf Ideologien und Vorstellungen über das Geschlecht beruhen. Eine der größten identifizierten Hürden dahin ist anerlernte Weiblichkeit, die es Frauen (fast) unmöglich macht, sich körperlich zur Wehr zu setzen. Dies zeigt den lebensändernden Einfluss von körperlicher Selbstverteidigung, handelt diese doch gegen alles über Weiblichkeit Erlernte: Angst vor Waffen, Angst davor, jemanden zu verletzen (auch wenn der Angriff von der anderen Person ausging), die Neigung nett zu sein, körperliche Unentschlossenheit und vor allem den Nichtglauben in die eigene physische Kraft.

Sie zeigt allerdings auch, wie vielfältig diese weiblichen Ängste immer wieder ins Bewusstsein eingeschrieben werden, wenn tagtäglich in Filmen und im Fernsehen gezeigt wird, dass z. B. eine Frau versucht einen Mann zu schlagen und dieser einfach lacht, oder dass sie versucht sich zur Wehr zu setzen und er die Waffe einfach wegnimmt. Diese immer wieder kolportierte weibliche Zögerlichkeit und Inkompetenz unterstützt eine Vergewaltigungskultur, da sie Männern hilft, verbale oder körperliche Auseinandersetzungen für sich zu entscheiden. Selbst diejenigen, die Männern größere Kräfte zusprechen als Frauen, stellen nicht in Frage, dass Seh- und Hörvermögen sowie ihre Reflexe dem von Männern nicht unterlegen sind. Dies enthüllt die Ironie der Angst von Frauen gegenüber Schusswaffen, ermöglichen diese es doch, die Unterschiede in körperlicher Größe und Kraft aufzuheben. Dies ist jedoch nur einer der in großer Zahl von Martha McCaughey gegebenen Hinweise und Schlussfolgerungen in Real Knockouts.

Im 4. Kapitel, überschrieben mit "Was Feminismus von Selbstverteidigung lernen kann", zeigt sie - ausgehend von der in den Kursen gewonnenen Erkenntnis, dass eine positive Neueinschreibung möglich ist (genau wie sich der Körper durch Krankheit, Schwangerschaft oder körperliche Angriffe ändern konnte), dass die soziale Identität nicht vom Körper getrennt werden, und das durch Kurse gewonnene neues Bewusstsein auch zu einem neuen Feminismus führen kann. Konkret fordert Martha McCaughey, dass die gewalttätige Gegenwehr von Frauen zu einer Neubewertung von körperlichen Konzepten in feministischen Theorien führen muss.

Den Abschluss des Buches bildet das Kapitel "Physischer Feminismus", in dem die Konsequenzen von Selbstverteidigung auf die sogenannte rape culture, also eine Kultur, in der Vergewaltigung durch die körperliche Überlegenheit des Mannes und die weibliche Verletzbarkeit und Opferrolle möglich wird, erörtert werden. Im Erfahren der Freuden des körperlichen Kampfes und seiner Möglichkeiten betreten Frauen ein traditionell den Männern zugeschriebenes Feld und verlassen gleichzeitig die Zuschreibungen als hübsche verwundbare Objekte, eine Neuschreibung der den sozialen Geschlechtern zugeschriebenen Fähigkeiten ist die Folge.

Real Knockouts - The Physical Feminism of Womens's Self-Defence ist eine trotz ihrer Komplexität leicht zu lesende wissenschaftliche Arbeit, deren Verdienst es ist, abseits von banaler Selbstermächtigungsliteratur im Stile "Du willst es? Du kannst es!" verschiedenste feministische Theorien zu erläutern und zu erörtern, eigene Erfahrungsberichte und Anekdoten mit umfangreichen Darstellungen der Selbstverteidigungsszene in den USA zu verbinden und eine positive Verbindung zwischen diesen Polen zu etablieren. Ein weiterer Pluspunkt des Werkes sind umfangreiche Anmerkungen am Ende des Buches, in denen z. B. einzelne Theorien vertieft werden, um das Buch lesbar zu halten, gleichzeitig jedoch die theoretischen Grundlagen nicht zu vernachlässigen, und ein sehr ausführlicher Quellenteil. Den Abschluß des Buches bildet ein Index, der "Real Knockouts" auch als Nachschlagewerk verwendbar macht.

In den letzten Jahren hat Martha McCaughy weitere Werke veröffentlicht, zum Beispiel über gewalttätige Frauen im Film, Popdarwinismus und Cyberaktivismus, die leider bisher nur in Englisch vorliegen.

Mir half das Buch, einige der Widersprüche aufzulösen, denen man als Feministin, die Kampfkünste lernt, ausgesetzt ist. Real Knockouts half mir, nicht nur den Vorurteilen von Männern begegnen zu können, die ihre Berechtigung eine Kampfkunst zu erlernen, nicht immer wieder neu legitimieren müssen, sondern auch den Widerspruch auszuhalten, körperlicher Gewalt, die als ablehnenswert empfunden wird, mit Gewalt begegnen zu können und sich für die Freude über einen gelungenen Upper-Cut nicht mehr schämen zu müssen.

Es gibt Bücher, bei deren Lektüre im Kopf viele Lichter blinken und bereits nach den ersten Seiten klar wird, dass sie die Sicht aufs eigene Leben für immer verändern werden, und man hofft, dass Seiten nachwachsen mögen, um noch mehr Lichter zu zünden, und gleichzeitig fieberhaft weiterliest, doch um das kommende Ende der Lektüre wissend. Real Knockouts ist eines dieser Bücher, und ich möchte es Ladies, Feministinnen, Freunden von Feministinnen und allen, die Kampfkünste erlernen, wärmstens ans Herz legen.

Real Knockouts - The Physical Feminism of Womens's Self-Defence zollt der Realität in der wir leben Respekt, wenn körperliche Gewalt zwar verabscheuenswürdig ist, ihre adäquate Antwort darauf, nämlich die körperliche Gegenwehr, ihren gebührenden Platz erhält - ein Mittel, uns in dieser Welt zu behaupten, bis wir sie geändert haben, um in ihr ohne Gewalt leben zu können.

AND NOW YOU’RE IN FOR A TREAT (audio only): Leseprobe von Ms. E. Stark!

Real Knockouts erschien 1997, und in den letzten Jahren hat sich einiges getan: Waren bis dahin positiv dargestellte Kämpferinnen z. B. in Filmen - von Genreausnahmen wie den noch wenig bekannten chinesischen martial arts Filmen der 1920er Jahre abgesehen - nicht oft zu finden, werden wir wie immer bei Buffy The Vampire Slayer fündig. In ihrer Schule Außenseiterin und wenig beliebt, wird ihr doch in der 20. Folge der 3. Staffel eine öffentliche Ehrung zu Teil. In ihrer Prom Night, dem feierlichen Abschied von der Highschool, gibt es verschiedene Ehrungen zu gewinnen. Eher widerwillig, und durch den Unbeholfensten des Promcommittees verliehen, wird Buffy als class protector geehrt und anerkannt, dass eine Frau die traditionelle Rolle der protected ones verlassen, und diese Rolle übernehmen kann.

*Die Rezension wurde erstmals 2010 veröffentlicht.


In der nächsten Woche besprechen wir die Bücher der letzten Wochen gemeinsam.

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