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Allen Eskens: Das Leben, das wir begraben.
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Allen Eskens: Das Leben, das wir begraben.

Die beste Jahreszeit um mal wieder ein richtig spannendes Buch zu lesen, nämlich dieses hier.

Wer kennt sie nicht, die größtenteils amerikanischen Thriller, wie „Die Jury“ oder „Philadelphia“, in denen ein Angeklagter vor Gericht sitzt und eine Jury über dessen Schicksal zu entscheiden hat, während Anwalt und Staatsanwalt alles für oder gegen dessen Verurteilung tun und nicht nur der Jury, sondern auch dem Zuschauer immer neue Beweise oder Indizien präsentiert werden, anhand derer diese ein Urteil fällen sollen. Natürlich haben uns Filme wie diese auch gelehrt, dass es sinnvoll ist, nicht vorschnell zu urteilen, ehe man sich den Fall von allen Seiten besehen hat und dass es manchmal gar nicht so einfach ist, überhaupt zu einer Entscheidung für oder gegen den Angeklagten zu gelangen. Doch wir überspringen diesen ganzen Prozess des Gerichtsverfahrens, denn in unserem Fall hat dieses längst stattgefunden und ein Schuldiger wurde gefunden und verurteilt.

In Allen Eskens Roman Das Leben, das wir begraben, treffen wir zunächst auf den Protagonisten Joe Talbert. Er ist Student der University of Minnesota und besucht einen Kurs über Biografien, in dem es – wenig verwunderlich – seine Aufgabe ist, eine solche zu schreiben, jedoch unter der Voraussetzung, dass die interviewte Person jemand völlig fremdes ist. Kreativer Weise sucht er dafür ein Altersheim auf, in der Hoffnung, hier jemanden zu finden, der oder die noch nicht vollständig an Demenz oder Alzheimer erkrankt ist und für sein Projekt taugt. Nachdem er Mrs. Lorngren, der Leiterin des Pflegeheims Hillview Manor, welches er sich für dieses Unterfangen ausgesucht hat, und deren Assistentin Janet sein Anliegen unterbreitet hat, fällt ihnen dafür nur ein möglicher Bewohner ein: Carl Iverson. Und bei Carl handelt es sich um niemand Geringeren als einen verurteilten Mörder, der vor 30 Jahren für die Vergewaltigung und den Mord an einem 14-jährigen Mädchen verurteilt wurde und nun, kurz gesagt, zum Sterben ins Altersheim überstellt wurde, da er an Krebs leidet und seine Tage gezählt sind. Dieser willigt schließlich auch ein, Joe seine Lebensgeschichte zu erzählen und dabei nichts auszulassen.

Spätestens ab hier, und wir befinden uns noch ganz am Anfang, wird der Leserin klar, worauf die Sache hinauslaufen soll. Es ist natürlich die eingangs erwähnte Frage nach der Schuld oder Unschuld von Carl Iverson und nachdem die Jury ihr Urteil bereits gefällt hat, kommen nun Joe Talbert und die Lesenden ins Spiel, um die Situation neu zu bewerten. Doch Joe muss diesen Fall nicht allein lösen. Unerwartete Unterstützung erfährt er von seiner Nachbarin Lila, die das Appartement direkt neben seinem bewohnt. Unerwartet, da diese zunächst kein Interesse an Joe und dessen Gesellschaft zeigt, ihn lediglich kurz und wortlos grüßt und anschließend zügig in ihrer Wohnung verschwindet. Das ändert sich jedoch, als Joe seinen autistischen Bruder Jeremy kurzfristig bei sich aufnehmen muss und Lila und Jeremy sich anfreunden. Sie hilft Joe von nun an bei den Recherchen und der Aufarbeitung des Jahrzehnte alten Falls, wobei ihre Kenntnisse im Fach Jura ihnen durchaus hilfreich sind.

Allen Eskens schafft es, in seinem bereits 2014 unter dem Titel „The life we bury“ erschienen Roman, einen Spannungsbogen aufzubauen, den er imstande ist, über die gesamte Länge zu halten, so dass ich als Leserin das Buch einfach nicht zur Seite legen konnte und es, meiner Meinung nach, absolut zu Recht fast alle Literaturpreise des Genres Thriller in den USA gewonnen hat. Einen wichtigen Teil tragen aber auch die von ihm geschaffenen Charaktere bei. Neben den bereits erwähnten, bringt auch Joes und Jeremys alkoholabhängige Mutter immer wieder eine gewisse Dynamik in den Verlauf der Handlung und man hat einerseits Mitleid mit ihrem Schicksal, aber andererseits so viel Wut auf sie, weil sie ihren autistischen Sohn nicht nur vernachlässigt, sondern auch zulässt, dass ihr Freund ihn schlägt und sie ihren anderen Sohn – unseren Protagonisten Joe – sowohl emotional als auch materiell erpresst, um bloß nichts an ihrem Leben verändern zu müssen.

„Wenn ich mich anstrengte, konnte ich mich an eine Mutter erinnern, die auch warm und weich sein konnte, zumindest an den Tagen, an denen die Welt sie in Ruhe ließ.“ (S. 27) Wir haben aber auch unseren verurteilten Mörder Carl Iversen und seinen Freund Virgil Gray, deren gemeinsame Geschichte und Freundschaft im Vietnamkrieg beginnt, eine Zeit, aus der der Leserin nach und nach wichtige Episoden preisgegeben werden, und die bis in die Gegenwart reicht.

Und da wären natürlich Lila und Joe. Lila, deren durchaus traumatische Vergangenheit anfangs nur angedeutet wird und sich für die Leserin als traurige Geschichte, geprägt von Missbrauch, entpuppt. Vielleicht sind es aber auch diese Erlebnisse, die Lila und Joe schließlich zueinander führen, so dass eine Liebesbeziehung zwischen den beiden entsteht, die aufgrund der jeweiligen Erfahrungen in der Vergangenheit von dem Wunsch geprägt ist, die Andere bzw. den Anderen zu beschützen. Denn auch Joe ist, wie bereits deutlich geworden ist, ein gebranntes Kind. Gleichzeitig schafft Allen Eskens mit ihm einen Protagonisten, den ich von Anfang an mochte. Sein teilweise abgeklärter Humor, der natürlich das Resultat seiner Erfahrungen ist, seine leicht zynische Art, aber auch seine Fähigkeit, sich durchzusetzen, nicht aufzugeben und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, machen ihn, unter anderem, so sympathisch. Generell schafft es Eskens, dass man seine Figuren liebt und hasst, oder einfach mit ihnen mitfiebert, was seinem Schreibstil zu verdanken ist, der gleichzeitig abwechslungsreich, nachfühlbar, humorvoll, überraschend und spannend ist.

Das Leben, das wir begraben, so der eins zu eins übersetzte Titel, erschien hierzulande im Festa Verlag und ist ein absolut gelungener Erstlingsroman, der meine uneingeschränkte Empfehlung erhält. Ein fesselnder Roman, der einen neben der offensichtlichen Kriminalgeschichte durch seine Figuren und deren Geschichten so in seinen Bann zieht, dass es schwer ist, ihn wieder zur Seite zu legen. Diese Rezension ist – wie unschwer zu erkennen ist – mein Plädoyer dafür, Das Leben, das wir begraben von Allen Eskens zu lesen und schließlich gilt es ja noch die Frage zu klären: Ist der im Roman verurteilte Mörder schuldig oder unschuldig?

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