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Aidan Truhen: The Price You Pay
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Aidan Truhen: The Price You Pay

Fuck you very much!
The Price You Pay (English Edition) eBook : Truhen, Aidan: Amazon.de:  Kindle-Shop

Manchmal wird es einfach alles zu viel.

2,5 ℃ Erderwärmung? Kein Supermarkteinkauf mehr unter 50€? Die lokale Fußballmannschaft schießt Eigentore? Krieg und Wetter. Und weil wir nicht ganz dicht sind, besprechen wir dann hier im Safespace unserer eigenen Kunstbücher von Precht und Welzer. Und ich lese den Quatsch vorher auch noch. Wie bescheuert kann man eigentlich sein? Irgendwann reicht es. Der Kopf will Ruhe haben. Aber er will auch lesen.

Zum Glück folge ich, solange das in Elon Musks digitaler Voliere noch aushaltbar ist, coolen Autoren und die spülen oft ganz ohne Werbegedanken (solange das noch erlaubt ist) Lesetipps in die Twittertimeline und die Treffsicherheit ist beängstigend.

So folge ich zum Beispiel Nick Harkaway, der ein britischer Fantasy Autor ist und gleichzeitig meine liebster Erklärbär der Londoner Shitshow um Brexit, Boris Johnson, Liz Truss und wer da auch immer den Prime Minister spielt, wenn diese Episode erscheint. Da dieser Job als Explainer des Wahnsinns, brillant mit Insight und Humor ausgeübt, erschöpft ohne Ende, bricht auch Harkaway ab und an aus und muss sich den aufgestauten Stress von der Seele schreiben. So war das 2018, also in den Nachwehen des Brexit und 2021, als in Großbritannien Corona, sagen wir: “verbesserungswürdig” missgehandelt wurde. Seine so entstandenen und dem Pseudonym Aidan Truhen zugeschriebenen Fluchtromane heißen “The Price you Pay” und “Seven Demons”. Sie haben keinerlei Referenz zu unserer Realität und sind ganz bewusst, sagen wir, “unterkomplex”. Und wie macht Harkaway das? Er schreibt einen Plot, der auf eine halbe Seite passt und füllt diesen mit dem Wahnsinnigsten, was ihm an Sprache, Gewalt und Absurdität einfällt. So muss man eigentlich nur darauf achten, dass man nicht aus Versehen jemanden zweimal umbringt und kann seiner in monatelanger Politikbeobachtung und -kommentar gesteigerten Gewaltphantasie freien Lauf lassen.

Wobei. Der Plot des hier empfohlenen ersten Teils der Serie “The Price You Pay” passt nicht auf eine halbe Seite - er passt in zwei Sätze:

Jack Price, Kokaindealer der gehobenen Sorte in New York, gerät in das Visier der gefährlichsten Auftragsmörder der Welt, den ‘Seven Demons’. Aber Jack Price weiß sich zu wehren.

Es beginnt ein Fest sinnfreier, lustigster und abgefahrenster Gewalt, bei der wörtlich zum Schluss kein Stein auf dem anderen bleibt. Die sieben Dämonen sind die üblichen Hollywood Action-Bösewichte mit dem einen oder anderen Twist, der in Hollywood dem Zensurrotstift zum Opfer fallen würde, aber das ist hier britische Literatur, da kann der Humor schwarz sein und die Klischees dick aufgetragen.

Jetzt das Überraschende: Der erste Teil dieser hoffentlich nicht beendeten Serie ist auch auf Deutsch erschienen und trägt den ganz hervorragenden Titel “Fuck you very much!”. Die spannende Frage ist: “Wie gut ist er übersetzt?”. Mein erster Gedanke beim Lesen des Originals war: “Schade, das Ding wird hier nie rauskommen..”, weil es mir nicht übertragbar erschien. Das Buch ist ein einziger langer Monolog eines etwas zu schnell sprechenden, alles checkenden, geschäftstüchtigen und sagen wir, zielorientierten, New Yorkers unbestimmter ethnischer Herkunft, dessen moralische Kompassnadel sich manchmal wild dreht. Es wimmelt von Füll-, Slang- und Schimpfwörtern. Die Hälfte der monologisierten Sätze ist gefühlt kürzer als fünf Worte, die andere Hälfte sind Nebensatzmonster, gespickt mit 10$ Worten und absurden Gedankensprüngen, bei denen man am Ende lachen muss. Und was soll ich sagen: Suhrkamp hat einerseits einen ganz hervorragend Übersetzer an den Start gebracht und dann, Jesusfuckingchrist, dem Mann oder der Frau die Erwähnung auf dem Cover des Buches verwehrt. Aber wir stehen bereit um zu loben: Es sind Sven Koch und Andrea Stumpf, die den Grat zwischen 1:1 Übersetzung, die nur hätte peinlich werden können und zu freier Schreibe, die dem ganz hervorragenden Original nicht gerecht wird, selbstbewusst entlang schreiten.

Und wenn ich vor vier Wochen 4000 Worte in eine Rezension des unwichtigsten Buches des Jahres von Precht und Welzer stopfte um zu belegen, dass diesen pseudointellektuellen Quatsch kein Mensch auch nur anlesen muss, habe ich mir von der Leserschaft dieses substack hoffentlich das Vertrauen erworben, in knapp 800 Worten spoilerfrei ein Buch zu empfehlen, welches todsicher die Laune hebt und einem hilft kurz den Malmström von Kreditkartenabrechnungen, mittleren Tabellenrängen in der dritten Liga und 25 Grad Celsius am Tag der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit zu vergessen.

Denn wir haben uns das alles verdient und wenn ich, liebe Leser, ganz, ganz ehrlich bin, habe ich nämlich gerade eben erst herausgefunden, dass es von “The Price You Pay” einen zweiten Teil gibt - denn wir recherchieren hier fundiert beim Studio B! Und ich will diesen zweiten Teil jetzt sofort lesen. Und ich hoffe doch sehr, dass Sven Koch und Andrea Stumpf den Übersetzervorschuss von Suhrkamp schon erhalten haben.

Falschgold over and out oder um beim Titel der deutschen Übersetzung zu bleiben: “Fuck you very much!”

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