Studio B Sommerklassiker: Milan Kundera - Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
"Doch die Welt war so hässlich geworden, dass niemand von den Toten auferstehen wollte."
Anlässlich der Studio B Sommerpause und des kürzlichen Todes des tschechisch-französischen Autors Milan Kundera, gibt es diese Woche einen Studio B Klassiker zu hören/lesen, der sich mit Kunderas wohl größtem kommerziellen Erfolg befasst.
Milan Kundera – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Was haben Beethoven, Nietzsche und Moses gemeinsam? Nein, das wird jetzt kein schlechter Witz mit billiger Pointe und ja, sie sind uns allen wohl bekannt aus den Bereichen Musik, Literatur und Religion, aber es ist mehr als das. In Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, welches er 1984 im Carl Hanser Verlag veröffentlichte, spielen sie alle ihre ganz eigene Rolle.
Aber von vorn. Bereits der Titel des Werkes wirft eine ganz entscheidende Frage auf, zumindest bei mir: wie können diese beiden, auf den ersten Blick so gegensätzlichen Dinge wie 'Unerträglichkeit' und 'Leichtigkeit des Seins' miteinander in Einklang gebracht werden? Diese Frage ist verbunden mit dem griechischen Philosophen Parmenides der die Welt in Gegensatzpaare aufteilte, wie wir dies auch heute noch tun, nämlich in: hell und dunkel, fein und grob, warm und kalt und eben leicht und schwer, um hier nur ein paar zu nennen. Parmenides sah dabei jeweils einen Part als positiv, den anderen als negativ an, aber hatte er damit recht? Diese Frage stellt sich auch Kundera und versucht dies anhand zweier Paare (!), seiner Protagonisten, herauszufinden.
Da wären zum einen Tomas und Teresa. Er, ein geschiedener Chirurg und überzeugter Junggeselle, der eine Vorliebe dafür hat, seine Frauen zu wechseln wie seine Unterwäsche. Sie, eine junge Frau, die als Bedienung in einer Kleinstadt arbeitet. Genau sechs Zufälle führen die beiden zusammen und führen schließlich dazu, dass Tomas es erstmals schafft, neben einer Frau zu schlafen, statt sie nach dem Beischlaf wegzuschicken. Und so bleiben die beiden zusammen. Doch: Die Katze lässt das mausen nicht, soll heißen, Tomas ist trotz seiner Liebe zu Teresa nicht imstande ihr treu zu sein und sie leidet darunter. An dieser Stelle ein kurzes Zitat, um einen Eindruck der Situation zu vermitteln: „Sie kam um halb zwei nach Hause. Tomas schlief schon. Sein Haar roch nach einem weiblichen Schoß.“ (S.131) Für ihn sind Sex und Liebe zwei getrennte Vorgänge. Die Leichtigkeit, die er bei diesen unverbindlichen Bettgeschichten empfindet, bleibt Teresa jedoch verschlossen und so leidet sie. Ist sie nun schwach, weil sie es nicht schafft, sich von ihm zu trennen, oder doch stark, weil sie bereit ist zu ertragen? Und auch Tomas fällt die Situation nicht leicht, weil er sieht wie seine Freundin leidet und doch unfähig ist, sich zu ändern. Aber vielleicht liegen die Herausforderung und der Reiz gerade in der Unvollkommenheit und auch im Versagen. Denn daraus schöpfen wir neue Kraft.
Schauplatz dieser Handlung ist zum größten Teil Prag, eingebettet in den historischen Kontext des Prager Frühlings. Die politische Situation hat schließlich zur Folge, dass Teresa und Tomas Prag endgültig verlassen und aufs Land ziehen, wo sie erst kurz vor ihrem Tod feststellen, dass keiner von beiden stärker oder schwächer ist.
Das zweite Paar im Roman stellen Sabina und Franz dar, deren Geschichte Kundera anders entwickelt. Bei ihnen spielen Wörter eine große Rolle, wie bereits an den Kapiteln des Buches deutlich wird. Da gibt es beispielsweise das „kleine Verzeichnis unverstandener Wörter“ in drei Teilen. Für Sabina haben die Wörter, die Franz benutzt, eine völlig andere Bedeutung, da sie in unterschiedlichen Umgebungen aufgewachsen sind und auch dementsprechend unterschiedliche Kindheiten erlebt haben. Ein Beispiel der unterschiedlichen Wahrnehmungen ist Franz' Faszination für Märsche, an denen er aufgrund seines Lebens zwischen den Büchern nicht teilnimmt oder teilnehmen kann, die aber für ihn das wirkliche Leben darstellen. Wohingegen Sabina diese nicht ausstehen kann, da sie in ihrer Kindheit gezwungen wurde, daran teilzunehmen. Diese unterschiedlichen Empfindungen sind es schließlich auch, die das Scheitern ihrer Liebesbeziehung zur Folge haben, was aber nicht zwangsläufig zu einem persönlichen Scheitern führt.
Um an dieser Stelle auch einmal die Bildhaftigkeit der Sprache Kunderas zu verdeutlichen, möchte ich noch ein Zitat anbringen, welches sich in eben diesem Kapitel der „unverstandenen Wörter“ unter dem Punkt „Die alte Kirche in Amsterdam“ findet (S. 101):
„Auf der einen Seite stehen Häuser, und in den großen Fenstern im Erdgeschoss, die wie Schaufenster aussehen, sieht man die winzigen Zimmer der Huren. Sie sitzen in Unterwäsche direkt hinter der Glasscheibe auf kleinen Polstersesseln. Sie sehen aus wie große Katzen, die sich langweilen. Auf der anderen Seite der Straße steht eine riesige gotische Kathedrale aus dem vierzehnten Jahrhundert. Zwischen dem Reich der Huren und dem Reich Gottes breitet sich, gleich einem Fluss zwischen zwei Welten, ein penetranter Uringeruch aus.“
Kunderas Figuren sind durchdacht und deren Geschichte und Handlungsweisen entfalten sich dem Leser nicht in einer linearen Erzählweise, sondern in Form von Zeitsprüngen, die früher oder später die einzelnen Handlungen zusammenführen und ein Gesamtbild ergeben. Dabei arbeitet er viel mit Mythologie und mythologischen Gedanken, die seinen Protagonisten selbst innewohnen. So sieht Tomas Teresa beispielsweise als das Kind Mose, welches im Körbchen bei ihm angespült wurde und das er mit aller Kraft beschützen muss. Die Wiederholung dieses Motivs im Roman zeigt seine Wichtigkeit für Tomas' Verhalten Teresa gegenüber.
Auch der Inbegriff der Tragödie, nämlich die Geschichte des König Ödipus, und die Frage nach dessen Schuld wird verknüpft mit den historischen Ereignissen des Prager Frühlings. Entgegen anderer Meinungen finde ich nicht, dass der Autor versucht möglichst viele Gedanken 'irgendwie unterzubringen', sondern seine Gedanken und literarischen und historischen Bezüge sehr genau durchdacht und passend sind. Auch der Verweis auf Beethoven endet nicht damit, dass jeder sein Leben komponieren kann, wie Musik (s. S. 82) und jede Komposition irgendwann zu einem Ende findet, sondern das Motiv „Es muss sein“ aus Beethovens Streichquartett Nr. 16 opus 135 verdeutlicht maßgeblich Tomas' innere Einstellung.
Und schließlich Nietzsche. Sein Gedanke der ewigen Wiederkehr wird vor allem am Anfang ausführlich behandelt und verschwindet auch im Laufe des Romans nie ganz, denn schließlich schwebt über allem die Frage: Würden wir Dinge anders oder besser machen, wenn wir noch einmal geboren würden, mit dem Wissen aus unserem früheren Leben? Schließlich gibt es darauf keine Antwort und doch macht es die Beschäftigung mit dieser Frage nicht obsolet.
Die Mischung aus philosophischen und alltäglichen, aber dadurch nicht weniger einfachen Fragen sind meiner Meinung nach entscheidend für die Protagonisten des Romans und jeder, der dieses Buch liest, hat sich mindestens eine dieser Fragen höchstwahrscheinlich bereits selbst schon einmal gestellt.
Und nun mein Erklärungsversuch für den Titel des Buches: das Sein an sich ist leicht – auch leicht im Sinne des Gegensatzpaares leicht und schwer – Entscheidungen zu treffen, von denen wir wissen, dass wir sie nur einmal treffen können, weil wir eben nur dieses eine Leben haben, machen es jedoch „unerträglich“, weil letztlich niemand sagen kann, ob diese oder jene Entscheidung die richtige war und die einmal getroffene Entscheidung auch nicht rückgängig zu machen ist.
Wer jetzt glaubt, nun bereits zu viel über das Buch bzw. dessen Inhalt zu wissen, als das es noch wert wäre, es zu lesen, dem möchte ich gern diese Entscheidung abnehmen und dringend empfehlen, es zu lesen.