Sommer, Sonne, Victoria Mas und Blumen
"Die verrückten Frauen waren nicht mehr angsteinflößend, sie faszinierten."
Definitiv eines der besten Bücher die ich in letzter Zeit gelesen habe, ist der von Victoria Mas 2019 veröffentlichte Roman „Die Tanzenden“. Die Handlung konzentriert sich auf das Jahr 1885 in Paris. Schauplatz ist die im 19. Jahrhundert wohl bekannteste psychiatrische Anstalt Europas: die Salpêtrière. Victorias Mas verknüpft reale Fakten und Personen mit den von ihr erdachten Handelnden, um der Leserin vor Augen zu führen, welches Leben und welchen Zuständen die Patientinnen, die meist „Insassinnen“ oder „Irre“ genannt werden, ausgesetzt waren. Eingesperrt, eines selbstbestimmten Lebens beraubt und ohne Aussicht auf die Chance einer Entlassung, werden die Frauen in der Salpêtrière zudem erniedrigt, vorgeführt und wie Tiere behandelt. Gekrönt wird dies von einem jährlichen Ball, in dem die feine Pariser Gesellschaft sich anschickt, die Patientinnen tanzen zu sehen und der gleichzeitig den Punkt bildet, auf den der Roman zuläuft. Mitfühlend und spannend geschrieben, mit sprachlichen Bildern die auf den Punkt sind.
Zur Untermauerung dessen noch eine kleine Auswahl meiner favorisierten Textstellen:
„Für diese Leute, ob Bürgerliche oder Proletarier, die schon die geringste Andersartigkeit verschreckt, hat der Gedanken an die geisteskranken Frauen etwas Erregendes und Beängstigendes zugleich.“
„Keine Spur von Hysterikerinnen, die barfüßig durch die kalten Gänge tanzen. Stattdessen herrscht hier nur ein stiller und alltäglicher Kampf um Normalität.“
„An ihren Gesichtern lässt sich erkennen, wie stolz sie sind, der richtigen Familie zu entstammen.“
„Eine Anstalt für Frauen, deren Empfindungen nicht den Erwartungen entsprachen. Ein Gefängnis für diejenigen, die sich einer eigenen Meinung schuldig gemacht hatten.“
„Als wären die intellektuellen Fesseln nicht schon genug, musste man sie auch noch körperlich einschränken. Dass die Männer ihnen solche Grenzen aufgezwungen hatten, legte den Gedanken nahe, dass sie die Frauen nicht verachteten, sondern vielmehr fürchteten.“
„Eine Mischung aus Irrenanstalt und Gefängnis, verfrachtete man all das in die Salpêtrière, mit dem Paris nicht fertigwurde: Kranke und Frauen.“
„Durch die Jahre in der Salpêtrière war ihr klar geworden, dass Gerüchte größeren Schaden anrichteten als Tatsachen, dass eine Geisteskranke in den Augen der Leute immer eine Geisteskranke bleiben würde, selbst wenn sie geheilt war, und dass ein Name, der von einer Lüge in den Schmutz gezogen wurde, von keiner Wahrheit reingewaschen werden kann.“
„Glauben heißt, sich selbst zu helfen.“
Dieses Buch ist eine absolute und dringende Empfehlung: Victoria Mas „Die Tanzenden“
Der Sommer ist nun auch meteorologisch bei uns angekommen und was könnte schöner sein, als den Sonnenschirm aufzuklappen, sich einen Kaffee zu kochen und in blühendem Ambiente den Nachmittag zu genießen und ein gutes Buch zu lesen. Das alles auf dem Balkon, so man denn einen hat. Für die Fortgeschrittenen natürlich im heimischen Garten. Da ist das Anpflanzen dann auch nochmal eine andere Geschichte. In diesem Sinne: Lasst Pflanzen blühen, nicht Hass.