Johannes Maria Simmel: Es muss nicht immer Kaviar sein
Ein immergrüner Klassiker, hier in einer Besprechung aus dem Jahre 2009. Auf das gute Leben und den antifaschistischen Kampf.
Vor kurzem verstarb Johannes Mario Simmel, und bis dahin hatte ich keines seiner Bücher gelesen. Warum auch. Simmel schien irgendwie das Gleiche wie Konsalik, sehr erfolgreich, sehr trivial. Damit mich die Hörerinnen und Hörer nicht falsch verstehen: trivial ist nicht ein Kriterium fürs Nichtlesen, nur lese ich lieber zur Entspannung einen Krimi oder ähnliches.
Nach dem Konsum einer Fernsehreportage über Johannes Mario Simmel, die ziemlich langweilig war, weil sich eine Menge Leute darüber unterhielten, wie geheimnisvoll und mächtig der nun Verstorbene über sein Bild in der öffentlichen Berichterstattung bestimmte, schenkte mir Kollege Falschgold, mit dem ich zufällig den Bericht gesehen hatte, ein billig erworbenes Taschenbuch des wohl bekanntesten Werkes von Simmel, "Es muss nicht immer Kaviar sein."
Warum nicht, dachte ich mir, versank mit einem Bier im Lesesessel und hatte für das ganze Wochenende keine weiteren Pläne mehr. Ein Wunderwerk der Unterhaltung, das mit lockerem Ton große Geschichte behandelt, Aufklärung betreibt und mich ernsthaft überlegen lässt, mich doch mal wieder an den Herd zu stellen.
Stellen wir kurz den im Triviallimbus gefangenen Johannes Mario Simmel vor: Seine Zuordnung zur Trivialliteratur verdankt Johannes Maria Simmel sicher nicht zuletzt dem Umstand seines extremen Erfolgs. Seine rund 35 Romane und Erzählungen erschienen weltweit in 33 Sprachen in einer Auflage von 75 Millionen. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt. Das höchste Lob, was ihm im Feuilleton vergönnt war, ist ein giftiges "unermüdlicher Vorarbeiter in der Bewusstseinsindustrie". Einzige auf die Schnelle aufzufindende Lobpreisung ist die wahrscheinlich deshalb immer wieder zitierte Aussage Reich-Ranickis: "Simmel hat wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive". Gestört hat Simmel das weniger. Er hat einmal geäußert, dass er ursprünglich gedacht hätte, man müsse so schön schreiben wie Rimbaud, Verlaine und Rilke zusammen", doch dann sei ihm bewusstgeworden: "Man muss den Leuten erzählen, was geschehen ist, verpackt in Romane." Er habe "das betrieben, was Norman Mailer 'faction' genannt hat, eine Mischung aus Fiktion und Fakten".
Simmel wurde am 7. April 1924 in Wien als Sohn eines Chemikers und einer Filmverlags-Lektorin geboren. Simmel verbrachte seine Kindheit in Österreich und England. In Wien machte er sein Abitur und absolvierte anschließend eine Ausbildung zum Chemieingenieur. Als Heilmittelchemiker arbeitete er ab 1943 in einem kriegswichtigen Betrieb. Sein jüdischer Vater konnte 1938 nach England emigrieren, starb dort jedoch kurz vor Kriegsende.
Nach dem Krieg arbeitete Simmel zunächst als Dolmetscher für die US- Militärregierung in Österreich und schrieb nebenher seinen ersten Roman “Mich wundert, daß ich so fröhlich bin”, der 1949 erschien und erste Aufmerksamkeit erregte. Das Debüt basiert auf eine wahre Begebenheit aus dem Zweiten Weltkrieg und begründete Simmels Ruf als Autor dokumentarisch untermauerter Romane.
Ein Jahr später zog er nach Deutschland, wo er für die Zeitschrift Quick als Reporter durch die ganze Welt reiste.
Seinen Durchbruch als Romanautor feierte Simmel dann mit dem heute hier vorgestellten und gepriesenen Agentenroman “Es muss nicht immer Kaviar sein”, der 1960 veröffentlicht wurde und groß beginnt, wenn wir uns kurz daran erinnern, dass die Deutschen immerhin Weltmeister der Herzen und sogar Papst sind: "Wir Deutschen können ein Wirtschaftswunder machen, aber keinen Salat." sagte Thomas Lieven", und damit startet eine aufregende Geschichte um einen deutschen Bankier, der vor Ausbruch des 2. Weltkriegs glücklich und zufrieden in London lebt und durch einen Betrug seines Compagnons in Agentenkreise gerät. Nachdem die Gestapo ihn in Deutschland verhaftet und zum Einverständnis zur Agentenarbeit zwingt, verlangen die Engländer bei seiner Rückreise das Gleiche und auch die Franzosen ziehen nach, als er nach Frankreich flüchtet.
Und so tut Thomas Lieven widerwillig, wozu er gezwungen ist, er wird Agent. Lange versucht er nach Südamerika zu flüchten, aber während der schwierigen Vorbereitungen, die dann doch scheitern, fälscht er Pässe, Nachrichten, Agentenlisten und versucht, soviel wie möglich Gutes zu tun. Weil er dabei aber immer wieder neue überraschende Wege findet, anders zu tun als ihm von seinen vielen Chefs geheißen und dabei soviel wie möglich Menschen zu retten, und ihm das nicht zuletzt durch seinen Charme und seine Kochkünste gelingt, ist das sehr spannend, ein richtiger Page Turner eben. Dabei ist Thomas Lieven kein Superheld wie im amerikanischen Comic, er hat lediglich - und damit mehr als die meisten Mitmenschen ihr eigen nennen - er hat Charme und ist ein passionierter Koch, gut, ein paar Begabungen entwickelt er später noch im Verlauf des Buches. Überlegen ist er seinen Widersachern vor allem deshalb, weil diese das repräsentieren, was Johannes Mario Simmel die ganze Zeit abwatscht und lächerlich macht: Uniformen, Obrigkeitshörigkeit, blinder Gehorsam, Machtgier.
Die ganzen Agentenkomödie und -tragödie spielt zwischen 1939 und -57, und worüber uns Simmel bei der unterhaltsamen Lektüre nie im Unklaren lässt ist, dass es nach dem 2. Weltkrieg keine Stunde 0 gab. Als Altbundespräsident Richard v. Weizsäcker am 8. Mai 1985 erklärte, dass es keine "Stunde Null" gegeben habe, sondern lediglich einen "Neubeginn", gab es danach lange und erbitterte Diskussionen, und heute sind auch diese fast vergessen. Simmel korrigiert diese Fehleinschätzung spielend leicht, wenn er den Superagenten Thomas Lieven erfolgreich Fabrikbesitzer erpressen lässt, die zu Kriegszeiten bei der SS waren.
Angereichert ist die atemberaubende Geschichte mit wirklich appetit-anregenden Rezepten. Einigen mag man die Zeit des Wirtschaftswunders anmerken, wenn etwas reichlich Butter verwendet wird, aber die internationale Kochshow, die Simmel hier der deutschen braunen Bratensoße entgegensetzt, ist grandios. Chaudeau, Filet Colbert, Götterspeise mit Kognak, Sellerie auf Genfer Art, all das hilft dem antifaschistischen Kampf des Thomas Lieven, und hoffentlich auch uns.