Dass der Kapitalismus im ewigen Endstadium unsere Umwelt zerstört, damit kann ich egoistisch in fortgeschrittenem Alter ja noch leben. Aber dass Arschlöcher wie Elon Musk oder der blasse, nicht erinnerungswerte Chef von Reddit meine Social Communities in Schutt und Asche legen, damit sie dort Werbung effektiver platzieren können, das geht an die Substanz. Denn wenn das Internet damals in den 90ern als Teenager etwas geschafft hatte, dann war es, uns aus den Bubbles zu holen und Twitter und Reddit waren mit all ihren Schwächen, siehe gleich, die logische und mittlerweile fast einzige Fortschreibung dieser goldenen Jahre des frühen World Wide Webs.
Ja, ich weiß, die Erzählung geht eigentlich anders. Wir würden in diesem Internet nur noch untereinander reden, in unseren digitalen Kommunen. Aber mal ehrlich, mit wie viel Musik außerhalb deiner Strassengang, mit welchen Büchern und Filmen außerhalb deines ach so intellektuellen Freundeskreises wurdest du im realen Leben konfrontiert, bis es auf einmal Foren und Blogs gab, in denen man sich von wildfremden Tipps holen konnte, was sonst noch geil zu hören oder zu sehen sei, auf dass man sich das heimlich wie von Beate Uhse liefern ließ - denn wer will schon in seiner Crew Fragen beantworten über Platten von Abba und Filme mit Will Smith?
Das Ganze hieß damals (Opa erzählt vom Krieg) Homepage oder später Blog und es ging oft einfach nur darum, für andere aufzulisten, was fetzt. Wenn man an der forefront der technologischen Entwicklung war, konnte der Besucher etwas ins "Gästebuch" schreiben. Daraus wurde dann "social media", bei dem es deutlich mehr ums Diskutieren ging. Wir sind schließlich alle Schiedsrichter und kennen uns tierisch aus. Irgendwann merkte die Werbeindustrie, dass man, mit ein bisschen Manipulation, in den digitalen Grabenkämpfen "Influencer" positionieren kann und damit Sachen verkaufen. Aus den Listen mit Tipps, was cool ist, wurden Stammtische mit Gebrüll und der mit dem größten Megafon schrie die ganze Zeit, egal ob passend oder nicht: "Kauf DVDs von Will Smith und Tickets für Abba als Hologrammkonzert in London, Anflug über Gatwick, weil billiger!".
Ca. 2015, spätestens, wurde das dann noch eine Ecke extremer: Wir wurden in Blasen einsortiert. Alle Linken/Demokraten/Nicht-Nazis/Feministen in die eine Bubble, die "real Americans"/Bio-Deutsche/Arschlöcher in die andere. "Algorithmen" statt Influencer sorgten dafür, dass wir in der Bubble “Klug” nur noch selbstverstärkende Bilder aus der Flüchtlingskrise zu sehen bekamen, zusammen mit dem einen oder anderen orthographisch fragwürdigen Kommentar aus Bubble “Dumm”, auf dass wir dran bleiben und uns aufregen - und umgedreht natürlich genauso.
Da kann man harte politische Interessen hinter vermuten: Russland, Trump, AfD, aber es hatte in Wahrheit (← So wird getriggert!) mehr damit zu tun, dass man damals Werbung noch nicht wirklich zielgenau platzieren konnte und damit jeder das bekommt, was ihr das Portemonnaie am sichersten lockert, musste man vorsortieren.
Jetzt aber, nachdem zu Corona sich alle online dumm gekauft haben und “künstliche Intelligenzen”, wenn wir uns nur gut genug überwachen lassen, tatsächlich recht genau vorhersagen können, was wir haben sollen, ist die Sortiererei nicht mehr nötig. Andererseits haben wir das alles aber ganz gut durchschaut, mittlerweile, und ignorieren die bunten Klickbanner mehr und mehr. Zudem haben wir ja nun eigentlich auch alles und wenn nicht, können wir es uns nach einem Jahr Inflation eh nicht mehr leisten.
Also geht der ewige Spätkapitalismus jetzt gegen jeden vor, der Werbung ausblendet. Google will schon lange die Schnittstelle in Chrome (und damit Edge) abschalten, auf der alle Werbeblocker basieren. Twitter hat die seine für 3rd-Party-Apps abgeschaltet, deren Zweck es war, die Kommunikation mit dem Medium angenehmer zu gestalten, natürlich auch durch das Ausblenden von Werbung. Reddit folgt in einigen Wochen.
Damit stehen viele, die gelernt haben, innerhalb der Bubble-Stammtische Freiheiten zu finden, und sei es nur vor dem permanenten Konsumerismusterror per Megafon, jetzt vor der Wahl zu kapitulieren und sich der Werbung zu übergeben - oder... tja, was oder? Denn zusammen mit der notwendigen totalen Überwachung in den Apps, um dir die frischeste Werbung zu präsentieren, werden in der Kombination mit (Möchtegern-) AIs wie Bing und Bard bald ganz andere Möglichkeiten der Manipulation eröffnet werden - es wird also zwangsläufig nach alternativen Kommunikationsformen zu suchen sein, nicht nur um den letzten Cent im PayPal-Konto zu retten, sondern um sich selbst vor der kompletten Eintönigkeit in der digitalen Kommunikation, wenn nicht Schlimmerem , zu schützen.
Was also tun?
Es wird auf das Ende einiger lieb gewonnener Rituale hinauslaufen. Das Doomscrollen, der Komplettierungswahn, der einen früh nicht aus dem Bett kommen lässt, solange man die Timeline nicht leer hat, zum Beispiel. Das Geheimnis: das sind andressierte Mechanismen des digitalen Kapitalismus. Gamification, Optimierungswahn und das Streben danach, immer das beste Ding, das tollste Buch, den Film mit der höchsten Bewertung haben zu wollen - es sind Mechanismen um uns unzufrieden zu halten, denn irgendwo gibt es immer den höheren Metascore. Im Herbst kommt der nächste Jack Reacher, der nächste Avatar-Film und wenn Du nicht alle Folgen vorher und hinterher gelesen, gesehen, gehört hast, dann fehlt Dir was - und wem will schon was fehlen? So bekommt man gesagt, was man braucht, um garantiert glücklich zu werden und der Kapitalist weiß, was er risikofrei herstellen muss um uns unglücklich und spendabel zu halten.
Aus dieser Mühle rauszukommen ist nicht ganz einfach, doch perverserweise helfen uns die Plattformen mit ihrer selbstzerstörerischen Gier dabei. Nein, wir müssen nicht zu Homepage und Blog zurück. Dank des Faktes, dass Rechenleistung immer billiger wird und die Tools zur Herstellung von Software immer leistungsfähiger, entstehen schon seit Jahren Alternativen zu den gewaltkapitalistischen Stammtischplattformen. Statt Twitter gibt es Mastodon, statt Instagram Pixelfed, statt Reddit Lemmy. Das sind Alternativen, geschaffen und betrieben von Communities, die den Profitgedanken zumindest nicht im Vordergrund haben. Es sind Plattformen, die frei sind von profitorientierten Algorithmen und das Adjektiv ist hier das Entscheidende. Denn wer immer, gern im bürgerlichen Feuilleton, den Satz “Der Algorithmus zerstört das Internet.” oder Ähnliches von sich gibt, dem gehört kurz auf den Kopf gehauen, damit der Adjektivspender wieder frei wird. Denn “der Algorithmus” ist nichts, was passiv entsteht. Jemand gibt eine Menge Geld aus, das “der Algorithmus” das tut, was der Geldgeber will und damit ist es der kapitalisitische Algorithmus, der das Internet nervt, bis keiner mehr Bock darauf hat.
Wer diesen Beitrag in zwei Jahren liest wird eventuell mit dem Kopf schütteln, denn es kann sein, dass die oben genannten alternativen Plattformen dann anders heißen, sie sind fluide und damit anpassungsfähig und da nicht zentral kontrolliert, kaum zerstörbar. Was man dort bekommt, sind kürzere Timelines, nicht nur weil diese Plattformen (aktuell) weniger User haben, sondern weil es keine Verkaufsbots mit Megafonen gibt, offizielle oder klandestine, und sie sind besser, weil es keine Verkaufsbots und weniger User gibt. Man ist schneller fertig mit scrollen, früh oder abends, wann immer man seiner Komplettierungskompulsion frönt und hat mehr Zeit, sich dem zu widmen, was man in dieser entdeckt hat. Denn dass mit weniger Quantität mehr Qualität einhergeht ist logisch, auch wenn man sein Leben lang das Gegenteil erzählt bekommt.
Wer auf diesen neuen Plattformen nicht genug oder immer noch zu viel findet kann sich natürlich auch heute noch komplett aus dem Hin und Her von sozialer Kommunikation befreien und digitalautistisch konsumieren. Newsletter, RSS-Feeds und Podcasts wie der unsere möchten empfehlen und brauchen kein wirkliches Feedback, denn wir sind uns unseres Sendungsbewusstseins sicher, ohne jeden Tag den Kopf gestreichelt zu bekommen. Womit klar wird, dass das hier und heute keine Buchrezension mehr wird oder je werden wollte.
Das ist eine Ankündigung und sie wird, wie künftige Nicht-Buch-Rezensionen, veröffentlicht unter der Rubrik “Lob und Verriss” (Ohne “Studio B” weil, das B schon immer nur für “Buch” stand 🤯) und zwar jeden zweiten Monat im Wechsel mit Studio B. Wir nehmen uns die Möglichkeiten, die das Medium bietet und empfehlen neben Literatur künftig also allzweimonatlich komplett Anderes. Das kann eine Platte oder ein Film sein, aber warum dabei bleiben? Es munkelt, dass Anne Findeisen eine Konzertrezension einer, ähem, unerwarteten Band im Ärmel hat und Irmgard Lumpini eine “Experience” empfiehlt, die viele von uns viel zu selten zu erfahren suchen.
Wir bilden damit in einer Liste ab, was wir in unserem Leben tun, wenn wir keine Bücher lesen. So ganz wie früher eigentlich. Das muss, ja soll fast, siehe oben, niemals “das Beste” sein, denn “das Beste” gibt es nur in der kapitalistischen Verwertungslogik. Wenn uns zum Beispiel die Gamingindustrie weis macht, dass man 60 EUR ausgeben soll für ein “Blockbustergame” (+ Hardware, dieses zum Laufen zu bringen) und ich am Ende doch ein Handygame eines enthusiastischen Programmierers spiele, der auf Spendenbasis ganz gut davon leben kann, wird die Lüge offensichtlich und wenn man unter den millionenschweren Medienkampagnen durchtaucht und bei uns über eben dieses Handygame stolpert, hat man den ersten Schritt aus dem Konsum-Ground-Zero geschafft. Manchmal ist es aber auch, vielleicht ungewollt, eine Warnung, denn auch wenn ich nicht darauf gehört hätte: natürlich ist “Avatar 2” der komplette Dreck, aber jemandem Aufmerksameren als mir hätte es dreieinhalb Stunden seines Lebens gerettet.
Das soll neben den Studio B Rezensionen künftig unser Job sein und damit das hier nicht nur eine zu lange Einleitung wird, zur Einstimmung drei Empfehlungen der ganz speziellen Art und ab nächster Woche mehr davon in Langform von Anne Findeisen, die Woche darauf von Irmgard Lumpini und dann besprechen wir unsere Erfolge dem digitalen Kapitalismus zu entfliehen. Drunter macht das hier keineR.
CTIB ist ein tschechischer Künstler. Die wenigsten werden ihn verstehen, er sei wohl nur wenig politisch. Die Musik ist ok und er war bei einem Mini-Festival kürzlich der, der mir den Abend gerettet hat, weil, irgendwie sehr erfrischend.
Shattered Pixel Dungeon ist ein Roguelike Rollenspiel für’s Handy (neuerdings auch auf Steam) und trifft den sweetspot zwischen zu einfach und viel zu schwer. Es ist turn based, sprich, man kann das alles zwischendurch machen und das Handy auch mal weglegen. Der Entwickler denkt sich ständig neue Mechanismen aus und ist ansonsten ein Perfektionist, auf dass es mir schon allein Freude macht, dem Entwicklungsprozess zu zu schauen.
Random Wiki ist ein Mastodon Bot, der mir aller paar Stunden einen zufälligen Wikipedia-Artikel in die Timeline spült. Man lernt, dass sich ein überdurchschnittlicher Anteil an Artikeln offenbar mit Motten beschäftigt und kann bei fast jedem Artikel kleine innere Tippspiele veranstalten ob es sich bei Kelly Erez um eine Türkische Handballerin handelt (englische R&B Sängerin) und bei Anna Chandler um eine britische Schriftstellerin (sie war eine amerikanische Vaudeville-Sängerin), was einen natürlich Vaudeville googlen lässt). Ein täglicher Schuss Weisheit - faszinierend.